Stadtkinder: Philipp aus Stockholm

Während ich im Juli durch Stockholm gestrollert bin, habe ich mich auf einen Kaffee mit Philipp Gallon getroffen. Er ist Fotograf und arbeitet mit den Medien Foto & Video auf künstlerische Weise, auch wenn er den Begriff „Künstler“ nicht so gern benutzt. Er hat mir auf unserer Tour einen Einblick in sein Stockholm gegeben.

Bei seinen Arbeiten stehen meist Plätze und Orte im Mittelpunkt. Zuletzt fotografierte er mehrfach im Nahen Osten und ist dort auf der Suche nach Bildern, die den Alltag zeigen. In diesen Bildern schaut er oft hinter die Kulissen eines Ortes. Damit qualifiziert sich Philipp perfekt als Stadtkind für Stockholm, denn hinter die Kulissen schauen wir ja auch ganz gerne.

Philipp hat mich quasi an die Hand genommen und durch seine Heimatstadt geführt, in der er nun seit mehr als 4 Jahren lebt. Stockholm ist sein zuhause. Das erste Mal, dass er das Gefühl hat, irgendwo richtig angekommen zu sein, wie er sagt. Auf unserer Tour konnte ich ihm auch ein paar Geheimtipps entlocken.

Hey Philipp, du bist Fotokünstler. Was sind deine Lieblingsmotive? Etwa Elche?

Ich mag Alltagsbilder. Das hört sich ein wenig banal an, aber mich interessieren einfach nicht die Bilder, die man erwarten würde, von einem Platz. Ich gehe immer von meinem Interesse aus. Ich interessiere mich für „Zwischenbilder“.

Wenn ich durch Damaskus‘ Strassen streune, dann interessiert mich nicht die orientalische Architektur oder zerschossene Häuser, sondern ein Vorhang, der im Wind weht oder eine Plastiktüte, die auf dem Bürgersteig liegt. Also Bilder, die man in dieser Form genau so in Berlin, New York oder Rio machen könnte. Ich suche nach Gemeinsamkeiten.

Das Verhältnis zwischen Bild und Text finde ich zudem auch sehr spannend. Für ein Projekt bin ich mit dem Zug von Stockholm nach Kairo gefahren. Die Bilder sind auch als Buch mit dem Titel „No Place“ erschienen. Der Bildtext steht dabei am Ende des Buches, damit der Leser nicht sofort durch den Text einen Bezug zum Ort herstellt. Ich spiele dabei bewusst mit dem Überraschungsmoment und nicht zu wissen, wo das Bild aufgenommen wurde.

Wie bist du zur Fotografie gekommen?

Ich habe Visuelle Kommunikation an der Folkwang Schule in Essen studiert und hatte schon immer einen Fokus auf Fotografie. 2007 bin ich für ein Auslandsjahr nach Göteborg gegangen, hatte aber vorher mit Schweden nix am Hut. Ich bin auch eigentlich nur an die Schule dort gegangen, weil mich die Kurse reizten. Jedoch bin ich dann irgendwie in Schweden hängengeblieben.

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Nach dem Jahr bin ich wieder nach Essen gegangen, um noch mein Diplom abzuschliessen, aber gleich danach wieder nach Schweden zurück. Dabei hat die Liebe eine große Rolle gespielt, da ich meinen Freund dort kennen gelernt habe.

Ich habe dann all meine Sachen gepackt, von meinem allerletzten Geld einen Umzugswagen gemietet und bin ohne Rücklagen nach Stockholm gefahren. Dort wollte ich einfach mal schauen, ob es funktioniert. Das war nun vor über 4 Jahren (breites Grinsen).

Es hat also funktioniert?

Joa, nicht immer so, wie ich es wollte, aber es war letztendlich die beste Entscheidung meines Lebens.

In Stockholm habe ich dann noch ein Postgraduierten-Studium gemacht. Dabei ging es eher um den theoretischen Teil der Fotografie, Kunstgeschichte, Medientheorie etc.

Hast du danach begonnen, Auftragsarbeiten zu machen oder dich ausschließlich auf den künstlerischen Part konzentriert?

Natürlich mache ich auch kommerzielle Aufträge. Das Leben in Schweden ist teuer. Stockholm ist eine ungeheuer teure Stadt, aber auch eine unheimlich produktive Stadt.

Ich war ein wenig naiv, als ich hergekommen bin. Ich dachte, ich mache meinen Kram und meine Projekte, und das wird schon alles irgendwie gehen und bin damit ziemlich auf die Nase gefallen. Hier oben hat man die ganze Zeit irgendwie im Hinterkopf, dass man Geld verdienen muss. Essen ist teuer, Wohnraum ist teuer und man kann nicht mit einem Café-Job überleben und noch Zeit für Projekte haben.

Wie hast du es hinbekommen, in dieser teuren Stadt zu überleben?

Die Balance zu halten ist nicht leicht, aber ich kann von den Auftragsarbeiten nun gut genug leben, um mich 50 Prozent der Zeit meinen eigenen Projekten widmen zu können.

Ich arbeite neben meinen Projekten als Fotograf für kommerzielle Aufträge aber auch als Fotolehrer. Das läuft rund, aber es hat auch gedauert, bis ich mich hier etablieren konnte. Ich bin mir sicher, dass es Städte gibt, in denen man es als Kulturschaffender leichter hat.

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Stockholm ist also eine der teuersten Städte der Welt. Aber ist es auch eine Stadt, in welcher die Menschen Zugang zur Kunst finden?

Ja, schon. Das Lustige, ist, das man als Auswanderer immer den Vergleich zieht. Das sollte man nicht. Aber der Vorteil hier ist: Schweden ist ein sehr kleines Land und hat eine sehr überschaubare Kultur- und Kunstszene.

Wenn man dort einmal rein gekommen ist, ist man etabliert. Ich habe schnell eine Galerie gefunden, die mich repräsentiert und ausstellt. Es ist auch nicht so eine große Fluktuation in der Szene – wenn man einmal drin ist, dann funktioniert es super. Nur, es gibt hier leider nicht so viele nicht-kommerzielle Kunstprojekte. Etwas, das ich an Berlin mag. Das ist hier schon eher anders, weil alles so teuer ist und dadurch zu viel Fokus aufs Geld verdienen gelegt wird, leider.

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Was zahlt man in Stockholm in etwa für eine 50qm Wohnung?

Hmm, das größte Problem ist erst einmal eine Wohnung zu bekommen. Der Wohnungsmarkt hier ist ganz anders als in Städten in Deutschland. Es gibt kaum Wohnraum. Mietwohnungen zu bekommen ist nahezu unmöglich. Es gibt Wartelisten, und es kann in beliebten Stadtteilen bis zu 15 Jahre dauern, bis man Mietwohnungen zugewiesen bekommt. Das heißt, die Leute kaufen ihre Wohnungen hier. Für meine 45qm Wohnung mitten auf Södermalm zahle ich derzeit 7.000 Kronen.

Uff. Viel Holz. Wo zieht es dich sonst so hin in der Welt?

Ich bin vor einem Monat aus Kanada zurückgekommen und habe Freunde in Montreal besucht. Dort habe ich versucht, die Stadt auf mich wirken zu lassen und muss nun sagen: Wenn ich mich heute entscheiden müsste, Schweden zu verlassen, wäre Montreal ganz klar meine erste Wahl.

Es ist die perfekte Mischung aus extrem entspannter Stadt, französischem und amerikanischem Einfluss, freundlichen und offenen Menschen. Ich habe nun Kanada für mich entdeckt.

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Wo willst gern zum Fotografieren hin? Wieder in die Krisengebiete

Arbeitstechnisch würde ich als nächstes gerne nach Teheran fahren. Am besten über den Landweg. Aber das ist ja zur Zeit etwas schwierig.

Da will ich auch mal hin. Sag mal, bist du beim Arbeiten eigentlich ortsunabhängig? 

Ja, vollkommen. Ich arbeite auch immer sehr viel am Computer. Die Arbeit an der Kamera ist leider immer nur ein kleiner Teil. Aber im Grunde bin ich ein Nomade, ich habe meine Kamera und meinen Laptop und bin damit unterwegs. Stockholm ist mein Nest – arbeiten kann ich aber von überall. Mal bin ich 2 Wochen unterwegs, mal 3 Monate. Mein Büro ist, wo ich gerade bin.

Jetzt müssen wir aber mal die Kurve kriegen zu Stockholm. Was macht die Stadt zu deinem Zuhause?

Stockholm ist die erste Stadt, in die ich es liebe, zurückzukommen. Ich bin viel in Deutschland umhergezogen, aber habe nie dieses starke Heimatgefühl gehabt. Jedes Mal, wenn ich von einer Reise zurückkomme, dann ist das ein tolles Gefühl.

Ich setze mich dann in die Tunnelbana und fahre vom Bahnhof nach Södermalm. Ich schaue auf die Häuser, das Meer, die Schiffe und denke mir „Cool, ich bin wieder hier!“ Solange dieses Gefühl da ist, bleibe ich hier. Wenn ich dieses Gefühl verliere, dann gehe ich woanders hin.

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Wie sind die Menschen in Stockholm?

Stockholm ist in der Beziehung speziell. Die Menschen sind distanziert und nordisch-unterkühlt. Es hat lange gedauert, bis ich Leute näher kennengelernt habe. Aber es hat geholfen, dass Stockholm einfach die schönste Stadt der Welt ist. Es gibt viel Natur, Wälder, Seen und es hat eine sehr hohe Lebensqualität.

Ich fühle mich oft wie ein Südländer hier.

Fremde Menschen anzusprechen, ist das absolute No-No. Das machen die Schweden nicht. Aber ich mache es trotzdem einfach. Ich fühle mich oft wie ein Südländer hier. Ich glaube jedenfalls fest daran, dass ich damit ein wenig dazu beitragen kann, das vielleicht zu ändern.

Es kann hier gut passieren, dass man sich stundenlang auf einer Party mit Jemandem austauscht und am nächsten Tag sieht man sich zufällig in einem Café und grüßt sich nicht mal. Ich weiß nicht was es ist. Nordische Zurückhaltung und leichter Schwermut vielleicht. Ich finde, die Leute hier brauchen ein bisschen Nachhilfe.

Wenn du jedoch einmal von einem Schweden zum Essen eingeladen wirst, in sein Zuhause, dann kannst du sicher sein, dass diese Person mit dir befreundet sein möchte. Wenn einmal das Eis gebrochen ist, sind die Stockholmer sehr sehr liebenswert.

Das werden wir tun. Immer einfach ansprechen. 

Kleiner Tipp: Wenn du wirklich in Stockholm Leute kennenlernen möchtest, bring eine Flasche Whiskey mit – am besten aus dem Duty Free Shop am Flughafen. Mit Alkohol bekommst du sie alle rum. Das ist wirklich so. Aber man läuft halt Gefahr, dass die Leute am nächsten Tag auf der Strasse nicht grüßen.

Aber das macht ja nichts. Gin geht auch? 

(Lacht) Gin geht auch.

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Und generell so: Wo sollen wir abhängen? Was sind deine Tipps?

Rumstreunen kann man am besten auf Södermalm zwischen Slussen und Skanstull (genannt „SoFo“). Besucht unbedingt auch den Vitabergspark und setzt Euch in eines der Cafés in der Umgebung. Immer gut: Drop Coffee, il caffè (Södermannagatan), Mellqvist Kaffebar. Ein guter Tipp ist auch ein Spaziergang von Eriksdal nach Hornstull entlang Årstaviken.

Dort kann man auch gut baden, also packt die Badehose ein! Das erste Bier solltet ihr abends im Biergarten Mosebacke trinken. Von dort ist der Sonnenuntergang sehr gut zu sehen. Wer genug von der Stadt hat und Natur braucht, fährt ins Nackareservat, das dauert 15 Minuten mit dem Bus. Achso, gutes Frühstück bekommt ihr übrigens bei Bakverket auf Södermalm.

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Letzte Frage und zugleich meine Lieblingsfrage: Angenommen du müsstest die Stadt für immer verlassen und dürftest einen 100 mal 100 Meter Fleck Erde mitnehmen und umpflanzen. Welcher Fleck wäre das?

Wald. Schwedischer Wald. Klingt kitschig, ist aber so. Ich fahre gern mit dem Rad oder dem Bus in den Wald, in 15 Minuten bist du im Nackareservat. Die Stadt liegt quasi mitten in der Natur. Die schwedische Natur würde mir sehr fehlen. Darum gehört auch der Ausflug in die Natur zu einem meiner heißesten Tipps für Euch!

Philipp, Vielen Dank für die kleine Tour mit Dir. Besucht auch Philipps Website.

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Frühstück oder Kaffee

  • Bakverket, Bondegatan 59
  • Il Caffè, Södermannagatan
  • Mellqvist Kaffebar, Hornsgatan 78

Streunen in der Stadt

  • Rumstreunen auf Södermalm zwischen Slussen und Skanstull und ein Eis in der AH Glassbar essen. Bestell Dir unbedingt „Safran oder Hjortron“. Danach gemütliches Abhängen im Vitabergspark

Streunen in der Natur

  • Nackareservat (Sweden in a nutshell) von Slussen mit Bus 401 Richtung Älta, dann aussteigen in Hellasgarden. Nur 15 Minuten von der Stadt entfernt liegt ein Naturreservat mit Wald und Seen. Hier findest du Blaubeeren, Lingon und manchmal sogar Elche..
  • Hammarbybacken – Stockholms Skigebiet, im Sommer gut zum Wandern. Tvärbanan bis Sickla Udde. Die Aussicht lohnt sich!
  • Spaziergang von Ericsdal nach Hornstull entlang Arstaviken, sind ungefähr 3 km. Unbedingt Schwimmsachen mitnehmen!

Shopping

  • APLACE, Götgatan
  • Sneakers&Stuff, Bondegatan
  • Herr Judith, Hornsgatan
  • Nitty Gritty, Krukmakargatan

Abends

  • Biergarten Mosebacke für das erste Bier des Abends
  • Abendessen im Mälarpavilljong (bisschen posh, aber schön auf einem Floss)
  • Whiskey Sour in der Folkbaren, Hornsgatan
  • Dancing: Trädgarden, T-bana: Skanstull
  • Konzerte: im Södra Teatern bei Mosebacke oder Debasar
  • Bar Brooklyn Hornstull