Du kannst es nicht mitnehmen

Die Springfedern des durchgesessenen Sofas im Eck vom „Things Café“ Saigon bohren sich in meinen Rücken. Ich vermeide ruckartige Bewegungen beim readjustieren, um die magersüchtige Tigerkatze nicht aufzuwecken, die sich neben mir zusammengerollt hat.

Es läuft eine weinerliche Folkversion von „Que sera, sera“, die mich einen Moment lang ungut daran erinnert, dass ich auch noch keine Ahnung habe, wo genau ich heute in einem Monat sein werde. Draußen beginnt es, leise zu regnen. In vier Stunden geht mein Flieger anderswohin. Und ich. Will. Hier. Nicht. Weg.

Klar ist es immer dann am schönsten, wenn man los muss – aber woanders kann es auch unmöglich so gut sein wie hier, oder? Hier haben sie dieses wahnsinnig schicke Corporate Design, sogar die Tassen sehen toll aus! Ich will diese Tasse haben. Mein Kaffee in Deutschland würde zehnmal besser schmecken aus dieser Tasse. Soll ich sie einfach mitgehen lassen, oder aus Karmagründen die Besitzerin bitten, sie mir zu verkaufen? Wenn ich sie jetzt einfach einstecke, versau ich mir bestimmt die halbe Tasche mit Gurke-Minz-Smoothie. Aber was, wenn sie mir die Tasse nicht verkaufen will? Dann hab ich gutes Karma, aber keine Tasse!

Hallo Gehirn, stopp mal bitte! Wir beide wissen, es geht überhaupt nicht um die olle Tasse. In Wirklichkeit will ich den Inhalt: einmal kuschelig-lethargische Melancholie mit Gurke-Minz-Aroma, decaf, tall, to stay in. Aber Gemütszustände lassen sich schlecht in einen Rucksack packen.

Und so ist das mit allen wirklich guten Dingen: du kannst sie nicht mitnehmen. Bewusstseinserweiternden Sex kannst du nicht für den Winter irgendwo im Garten verbuddeln wie Eichhörnchen eine Haselnuss. Deine hart erbräunte Tan Line ist nach zwei Wochen Schland wieder verblasst. Es gibt nur einen allerersten Schluck heißen Kaffee nach einer schlaflosen Nacht.

Du kannst nicht auf Vorrat schlafen. Nicht auf Vorrat lieben, nicht Urlaub machen auf Vorrat. Du kannst nicht auf Vorrat deine Eltern umarmen. Nicht auf Vorrat shoppen, weil du das Zeug in zwei Jahren sowieso langweilig findest. (Außer in Tokio. In Tokio kann und sollte man immer und unbedingt auf Vorrat shoppen). Nicht auf Vorrat das Meer anstarren. Nicht auf Vorrat Nudelsuppe essen. (Obwohl ich das weiß Gott versucht habe). „Nur noch einen allerallerletzten Mango-Avocado-Smoothie“ denkst du dir, und dann ist dir ein bisschen schlecht, weil zwei pürierte Avocados den Tagesbedarf an Avocado um ca. 75% übersteigen.

Es ist vermutlich diese Eichhörnchenmentalität, mit der die Souvenirindustrie ihr Milliardengeschäft macht. „Oh, nur dieses eine Muschelkettchen noch! Es soll mich für immer an diese tolle Reise erinnern, und meine Arbeitskollegen werden endlich erkennen, wie wild und frei ich in Wirklichkeit bin!“ Newsflash: that´s not gonna happen. Mit deiner Muschelkette wirst du allerhöchstens als peinlicher Hippie belächelt und spätestens bei der nächsten DB-Verspätung auf unbestimmte Zeit ist auch deine mühsam kultivierte Reise-Gelassenheit wieder dahin. Du kannst es nicht mitnehmen, nichts davon. Du kannst es nur erleben. Denn für die besten Momente im Leben gibt’s keine Repeat-Taste.

Hatten wir ja schon damals in American Beauty gelernt:

It’s hard to stay mad, when there’s so much beauty in the world. Sometimes I feel like I’m seeing it all at once, and it’s too much, my heart fills up like a balloon that’s about to burst… And then I remember to relax, and stop trying to hold on to it, and then it flows through me like rain and I can’t feel anything but gratitude for every single moment of my stupid little life.

Genau so. Also: atmen. Schmecken. Kommen. Ins Meer stürzen. Und dann Mund abwischen, weiter machen. Ab in den Flieger. Woanders wartet schon das nächste Abenteuer.

15 Kommentare zu “Du kannst es nicht mitnehmen”

  1. Das hat mich jetzt mal richtig umgehauen. Genauso fühlt es sich bei mir auch immer an.
    Das mit der Nudelsuppe ist aber Training. Und wenn Avocado genug, dann Mango :-))))

    Danke und liebe Grüße
    Robert

  2. Was für ein schöner Text. Du hast natürlich vollkommen recht, dass man Erfahrungen & besondere Momente nicht bevorraten kann – aber manchmal ist etwas so schön, dass man insgeheim hofft, dass dem nicht so ist und es eine Ausnahme gibt. Für den Geschmack der ersten frischen Erdbeeren des Jahres. Für diesen tollen Spieleabend mit Freunden. Oder für jenen schönen Herbstspaziergang.

    Vielen Dank übrigens auch für das Filmzitat!

    • Theresa Lachner

      Ich danke dir, Svenja! Zum Glück gibt es ja so viele dieser Momente – solange wir nur die Augen offen halten für die Schönheit. Da gäbe es jetzt auch noch ein paar gute American Beauty Zitate dazu…

  3. Toll geschrieben und leider sehr wahr! Man kann diese Erlebnisse, diese Momente nicht bevorraten… Gespeichert sind sie aber! Wir haben sie erlebt und sie bleiben im Kopf, gemeinsam mit Klängen, Gerüchen, Geschmackserlebnissen und Gefühlen. DAS kann uns niemand nehmen und es ist viel mehr als die Muchelkette am Arm… :-)

  4. wie war das? „Weine nicht, weil es vorbei ist, sondern lächle, weil es so schön war.“ Ich schließe mich meinen Vorrednern an – ein ganz wunderbarer Blogpost, der den Leser mit plötzlich aufflammendem Fernweh zurücklässt…

  5. Schöne Worte, schöne Gedanken. Schade, dass man diese besonderen Momente nicht einpacken, aufbewahren und wieder auspacken kann. Allerdings wären sie, könnte man sie planen, ganz schnell nicht mehr so besonders. Das schönste ist es, wenn man sich über jedes Lachen, dass von Herzen kommt, aufs neue freuen kann. Danke Theresa für diesen lebhaften Einblick in deine Café-Gedanken, Julia

  6. Ein großartiker Artikel, der zugleich lustig und wahnsinnig tiefgründig ist. Es ist schwer, sich zu zwingen, im Jetzt zu leben anstatt sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie man dieses Gefühl künstlich in die Länge ziehen könnte. Schöne Momente sind nunmal nur Momente. Sonst wären sie auch nur noch halb so schön…

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