Stadtkinder: Natalya aus Köln

Es war höchste Zeit, dem schönen Rheinland mal wieder einen Besuch abzustatten. Da durfte ein Tag im entspannten Köln natürlich nicht fehlen. Die perfekte Gelegenheit, mir von Natalya die für sie schönsten Ecken der Stadt zeigen zu lassen. Schließlich ist die Illustratorin hier schon seit acht Jahren zuhause.

In ihren Illustrationen erschafft Natalya oft märchenhafte Welten, detailreiche Szenerien und außergewöhnliche Charaktere. Die Inspiration für ihre Arbeiten findet sie unter anderem an ihren Lieblingsorten innerhalb der Stadt. In unserem Gespräch hat sie mir verraten, warum sie als gebürtige Ukrainerin gerade Köln zu ihrer neuen Heimat auserkoren hat und was für sie die Schönheit der Stadt ausmacht.

Was hat dich nach Köln verschlagen?

Ich wollte immer nach Köln ziehen. Ich kannte die Stadt schon aus der Ukraine, wo ich ursprünglich herkomme. Wir haben damals mal eine Sendung gesehen und da gab es einen Hubschrauberflug über den Kölner Dom. Und ich habe in der Ukraine gesessen als 9-Jährige und dachte: Whooo, ich will nach Köln.

Also hast du dir einen Kindheitstraum erfüllt? Was macht die Stadt für dich denn so besonders?

Köln ist so eine Sache. Manchmal ist Köln wie so ein richtig hässlicher Hund. Wie so ein French Bulldog oder so ein Mops, den man sauhässlich findet und der schnarcht und so, aber man liebt ihn halt, weil er so schön hässlich ist.

Es ist komisch mit Köln. Es hat wunderschöne Ecken. Viel wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut, natürlich sehr schnell. Diese Neubauten sind nicht immer ganz dem gerecht geworden, was Köln eigentlich mal war: eine wunderschöne, alte, großartige Stadt. Und demnach ist das Stadtbild einfach nicht so einheitlich.

Und trotzdem ist es wahnsinnig toll, hier zu leben, weil die Menschen das Stadtbild letztendlich mitbestimmen im Sinne einer wahnsinnig guten Energie in der Stadt. Die Leute sind sehr offen. Das sagt man den Rheinländern ja generell nach, aber in Köln ist es nochmal ein bisschen extremer. Man kommt sehr schnell ins Gespräch, man kommt sehr schnell zusammen mit Leuten, man kann sehr schnell bei Projekten kollaborieren. Das macht natürlich sehr viel aus, auch wenn manche Stadtteile nicht ganz so schön sind.

Du arbeitest hier als freie Illustratorin. Wie bist du eigentlich zum Zeichnen gekommen?

Ich hab schon immer gezeichnet. Schon als Kind. Mein erstes Werk war »Eine verfaulte Kartoffel«. So habe ich das genannt. Es ist ein untypisch buntes Werk. Ich hatte früher um mein Bett herum eine Papierrolle, weil ich nachts Stifte ins Bett geschleppt und ganz winzig kleine Dinge auf die Tapete gezeichnet habe. Nachdem meine Eltern öfter mal dieses Stück übertapezieren mussten, dachten sie: „Das kann doch nicht wahr sein!“ Das waren die Wegbereiter.

Und dann hatte ich einen Illustrations-Kurs an der FH Düsseldorf, wo ich studiert habe. Wir sollten Märchen zeichnen und dann hab ich gedacht: Okay, vielleicht mach ich das jetzt einfach so, wie ich das gerne hätte. Mein Professor hat es komplett zerrissen und meinte, das wäre kompletter Quatsch, was ich da mache und ich müsste das unbedingt lassen. Hab ich aber nicht gemacht. Ich bin bei meinem Stil geblieben. Da habe ich erst den Mut bekommen, das als Beruf zu wählen. Nach meinem Abschluss haben sich die Dinge ganz von allein ergeben.

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Und was zeichnest du heute so?

Ich zeichne ganz unterschiedliche Sachen. Vieles für Magazine. Oder für ganz kleine Läden, die zu mir kommen. Oder für Vodafone durfte ich in Hamburg wunderschöne große Tafeln bemalen. Ich zeichne meistens in Schwarz-Weiß. Mit sehr viel Detail, was sehr viel Arbeit ist und manchmal weh tut. (lacht)

Ich arbeite viel von zu Hause aus. Weil ich Freelancer bin und mir alles selbst einteile, ist es mir wahnsinnig wichtig, in meiner Umgebung Orte zu haben, wo ich hinflüchten kann zwischendurch. Um die Hand ein bisschen zu entspannen. Und den Kopf mit.

Die Orte wollen wir jetzt natürlich auch kennenlernen.

Ich habe so meine eigenen Pfade, die ich immer wieder ablaufe. Ich mag mein Viertel. Ich wohne in Nippes. Hier mag ich den Baudriplatz gerne. Da steht das Café Eichhörnchen, das ich liebe. Ein alter Belgier macht den Salat mit fleischigen Händen an, das ist toll.

Cafe Eichhörnchen Köln Nippes

Ein Stückchen weiter ist es noch ein ganz klein bisschen schöner. Das Agnesviertel ist wunderschön. Dort ist noch viel Altes erhalten geblieben und es hat sehr schöne Plätze. Wir haben in Köln so ein Ding, dass immer mehr Plätze im Freien eingenommen werden.

Da gibt es den Brüsseler Platz im Belgischen Viertel. Und es gibt vor der Kirche St. Agnes im Agnesviertel einen Platz, der sich ähnlich entwickelt. Da sitzen die Leute abends einfach und trinken ein Bierchen. Nicht in einem Café, sondern auf dem Platz vor der Kirche, was superschön ist. Und es gibt die Weißenburgstraße im Agnesviertel, die ich ganz toll finde. Das ist eine bewohnte Allee. Rechts und links sind diese wunderschönen Altbauten und in der Mitte sind diese riesengroßen Platanen. Dort gibt es ein paar Läden. Das Café Elefant ist zum Beispiel ganz fantastisch. Man kriegt fantastische Blinis im Café Elefant, total toll.

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Ah, es gibt so viele Plätze in Köln, die ich mag. Ich mag die Flora wahnsinnig gerne, es ist wie in einer französischen Orangerie. Und es gibt einen Ort, der besonders schön ist. Der ist versteckt. Den kennen gar nicht so viele Menschen. Ist auch gut so. Das ist ein Rosengarten in einer alten Burganlage. Ganz nah am Geschehen eigentlich. Da ist es still. Da kann man gut sitzen und denken.

Achtest du auf bestimmte Dinge in deinem Alltag, um sie in deinen Illustrationen zu verarbeiten?

Ganz oft achte ich tatsächlich auf die Menschen. Weil man hier viele komische Leute sehr häufig sieht und so eine gewisse Verbundenheit spürt, auch wenn man denjenigen persönlich gar nicht kennt. Und weil meine Illustrationen manchmal so ein bisschen verkopft sind, also eher nachdenklich, kann ich ganz viel von den Menschen einbauen.

Es gibt Überlebenskünstler, die man immer wieder sieht. Es gibt zum Beispiel diesen Menschen, der wohnt am Baudriplatz an der Kirche, der darf da hausen. Der hat einen riesengroßen Bart. Man munkelt in Köln, wenn du ihm seine Lieblingsschokolade schenkst, zeichnet er dich. Wir haben noch nie gesprochen, aber er hat einen Blick drauf, den ich total spannend finde. Ich weiß nicht, was er erlebt hat, dass er so viele weiße Haare im Gesicht bekommen hat und warum er so lebt, wie er lebt, aber sowas ist spannend.

Und wir haben einen Charlie Chaplin in der Stadt. Ein wahnsinnig cooler Typ, der sehr smart ist und sich immer wie der Meister selbst verkleidet. Der erzählt ganz geile Sachen und wandert so durch die Stadt.

Das sind für mich so diese Outlaws, die ich mir gerne angucke, die landen oft in meiner Arbeit. So die tiefen alten Seelen.

Cafe Eichhörnchen Köln

Du kommst ursprünglich aus der Ukraine. Beeinflusst dich das auch in deiner Arbeit?

Je älter ich werde, desto stärker spüre ich, das ich aus einem anderen Land komme. Es zeichnen sich immer wieder Denkweisen ab, die vielleicht viel mit der Sowjetunion zu tun haben, mit der Größe des Landes. Ich hab zum Beispiel ein paar Jahre am Polarkreis gelebt. Die Eindrücke nehme ich alle mit.

Was oft durchkommt, ist, was ich die russische Seele nenne. Ich kenne das auch von meinen Kolleginnen. Es ist so ein bisschen schwerer, was wir zeichnen. Obwohl die Russen so gerne singen und tanzen. Man denkt einfach ein bisschen mehr nach, man ist ein bisschen skeptischer.

Und bei mir ist es ganz oft so, dass ich diese Dualität spüre. Dass die Hälfte meines Lebens in einem relativ armen, instabilen Land stattgefunden hat. Mit einer ganz anderen Sprache, die eine ganz andere Bildhaftigkeit hat. Und die andere Hälfte eben hier, in Sicherheit, in Wohlstand, in Ruhe. Die eine Hälfte mit fünf, sechs Mann, die auf 40qm leben und immer laut sind und wo viel diskutiert wird mit vielen Emotionen. Und eben hier eine Zurückgezogenheit, ein durchdachterer Umgang miteinander.

Ich kann nicht sagen, wo ich hingehöre. Witzig ist es mit den zwei Sprachen, weil man die Sprechweise wechselt. Und die Denkweise. Das beeinflusst die Arbeit unheimlich. Man zeichnet ganz andere Bilder, wenn man gerade eine Woche lang Russisch gesprochen hat.

Ist eins von beidem für dich Heimat oder beides?

Heimat ist ein schwerer Begriff für mich. Ich hätte vor ein paar Jahren wahrscheinlich noch gesagt: Ganz klar, Heimat ist die Ukraine. Es ist wahrscheinlich gar nicht der Ort, aber ich hab so eine wahnsinnige Bindung zu ganz kleinen Sachen wie dem Geruch einer Stadt.

Zum Beispiel ist es so, dass ich mich in Köln viel heimischer fühle, wenn es hier sehr heiß ist, weil es auch in meiner Stadt damals sehr heiß war. Noch stärker ist es, wenn hier die Linden blühen. Wenn auf meiner Straße Richtung Agnes-Viertel dieser süßliche Geruch in der Luft liegt und es warm ist, dann ist das maximales Heimatgefühl, allerdings gekoppelt an das Zuhause in der Ukraine. Es ist so eine Verdoppelung bei mir.

Aber Köln ist schon mein Zuhause und wird, egal wo ich vielleicht lande, immer Zuhause bleiben. Ich habe noch nie in meinem Leben eine solche Zeitspanne an einem Ort verbracht. Köln ist die erste Station, die mich länger gepackt hat.

Wo findet man dich denn, wenn du mal nicht in Köln bist?

Ich reise gerne. Ich mag das Reisen an sich. Das, was man unterwegs macht. An einer Tankstelle anhalten. Sich einen Burger zu holen. Im Bordrestaurant im ICE zu sitzen. Das sind für mich Rituale, die ich immer wieder gerne mache.

Ich glaube, ich bin generell ein Stadtkind. Ich fühle mich in der Stadt immer sehr wohl. Ich mag eigentlich alle Städte, die mich überfordern und mich so ein bisschen aus der Komfortzone rauskicken. Wahrscheinlich, weil ich es hier so gemütlich habe, suche ich mir dann Dinge, die mich komplett erschlagen. Das hatte ich mit allen Städten, sei es Berlin, Paris, New York oder London.

Ich hatte Zeiten, da hab ich flach auf dem Boden gelegen nach einem Tag, weil einfach diese Distanzen so absurd sind. In Köln ist man überall in zwanzig Minuten. Man kann viel zu Fuß zurücklegen. Das kann man in New York oder Paris einfach nicht machen. Und man ist sofort in einer anderen Welt, wenn man ein Viertel weiterläuft. Das ist großartig.

Achtest du auf Reisen stärker auf die kleinen Dinge in einer Stadt?

Ich glaube, wenn man reist, schaut man sich so eine Stadt tatsächlich viel intensiver an als die Menschen, die dort leben. Deswegen nimmt man in kürzester Zeit auch so viel mit, weil man einfach viel intensiver die Augen aufmacht… und den Kopf!

Es ist wahnsinnig schön, in Paris zu sitzen und sich die Dächer anzugucken. Oder einmal gab es diese Katze, die in einer offenen Tür rumlag. Es ist so viel Frieden in so kleinen Momenten. Ich glaube, die nimmt man nicht wahr, wenn man in seinem Trott ist. Auf Reisen kann man das leichter.

Es gibt in Großstädten einfach so wahnsinnig viel zu entdecken. Ich gucke Leuten wahnsinnig gerne in die Fenster rein. Das liebe ich in Holland zum Beispiel: Die haben keine Gardinen. Das find ich toll. Ich weiß, es klingt komisch. Aber es macht tierisch Spaß. Das ist denen gar nicht klar, dass dann jemand unten steht und deren Geranientopf bewundert. Find ich super. (lacht)

Was muss jemand, der nach Köln kommt, denn erleben, um ein Gefühl für die Stadt zu bekommen?

Wahrscheinlich muss man das Touri-Programm erstmal machen. Auch nach 8 Jahren: Jedes Mal wenn ich mit dem Zug rausfahre oder zurückkomme, ist der Dom einfach eine wahnsinnige Überraschung. Das kenn ich von anderen Städten nicht so, man gewöhnt sich ja relativ schnell an Sachen. Das passiert mit dem Dom nicht, weil er so wunderschön ist. Unbedingt reingehen und das Richter-Fenster angucken. Das mache ich immer noch. Es ist so untypisch für eine Kirche.

Und dann muss man zum Brüsseler Platz gehen und sich da hinsetzen und dann muss man sich einen Kaffee bestellen und durchatmen. Man kann hier nicht wie so´n gehetzter Touri durch Tokyo jagen. Um die Stadt zu begreifen, muss man ihr ein bisschen Zeit geben. Und ganz viel Streunern, weil hier die Sachen eher in den kleinen Straßen passieren. Wenn man so ein paar Ankerpunkte hat und weiß: „Das ist das Belgische Viertel, da ist es drumrum ganz schön!“, dann kommt man gut zurecht.

Den heiligen Gral findet man hier eher dadurch, dass man in Kontakt kommt mit den Leuten, die hier leben. Es macht Spaß, hier in eine Bar zu gehen. Vielleicht in den Salon Schmitz auf der Aachener Straße, wenn man es netter mag. Da kommt man leicht ins Gespräch. Ich kann natürlich nur aus meinem Fokus sprechen. Ich glaub, wenn man diese urbane Kultur spüren will, dann auf dem Brüsseler Platz, der Aaachener Straße oder der Brüsseler Straße. Da tümmeln wir uns alle. Da trifft man mich ständig. (grinst)

Brüsseler Platz

3 Kommentare zu “Stadtkinder: Natalya aus Köln”

  1. Ach da bekomme ich gleich Heimweh nach Kölle. Natalya hat einige Facetten von Köln in sehr schöne Worte gefasst. Es fehlt nur der Fastelovend. :) Danke für all die schönen Bilder, die beim Lesen in meinem Kopf aufgetaucht sind. Wunderschön.

    • Sehr gerne! Über Köln lassen sich halt einfach viele schöne Dinge sagen. Und der Fastelovend ist ja nochmal eine Welt für sich ;)