Was ist Heimat für dich, Kris?

Die kleinen Häuser am Rande des Kanals ziehen langsam an uns vorbei. „Oh, lass uns das da kaufen!“ – „Ja, aber wir brauchen definitiv eine Hängematte im Garten… oder eine Hollywood-Schaukel!“ Aus dem iPhone scheppern Seemannslieder und die Sonne lacht über dem Tuckerboot, dass eine Freundin und ich uns für den Tag gemietet haben. An solchen Tagen liebe ich Berlin über alles. So aus ganzem Herzen. Aber ist das hier deswegen wirklich meine Heimat?

Berlin und ich, das läuft! Naja, meistens jedenfalls. Zumindest jetzt, wo die Sonne sich mal wieder am Himmel zeigt und sich das Leben wieder auf den Straßen abspielt. Ich meine, ich hätte selbst bei den ruppigen Ur-Berlinern vor dem Späti meines Vertrauens den Ansatz eines Lächelns gesehen. Vielleicht lag es aber auch nur am Sterni-Bier in ihrer Hand. Wie auch immer, der Punkt ist: Jedes Mal, wenn ich hierhin zurückkomme und das vertraute Stadtbild vor mir auftaucht, freue ich mich wie ein kleines Kind.

Eigentlich wäre die Sache damit doch klar. Ich habe hier eine feste Wohnung. Ich möchte hier nicht weg. Okay, im Winter schon, aber nicht dauerhaft. Also ist Berlin doch Heimat. Oder Wahlheimat. Ende der Geschichte?

Nein nein nein, so einfach ist das Ganze nicht.

Denn das geht mir in Buenos Aires ähnlich. Wenn ich dort mit Freunden bei Café con leche und medialunas in meinem Lieblingscafé sitze, kann ich mir keinen Ort vorstellen, an dem ich in diesem Moment lieber wäre. Auch wenn ich dort keine Wohnung habe. Das Gleiche gilt übrigens auch für Barcelona, Bali, Chiang Mai,… wir überspringen diesen Teil mal.

Und dann wäre da natürlich noch mein eigentlicher Geburtsort. Ist das nicht automatisch meine Heimat? Auch wenn ich für die Stadt an sich eigentlich keine wirkliche Heimatliebe mehr aufbringen kann? Und was ist mit Düsseldorf, wo ich immerhin sechs Jahre meines Lebens verbracht habe?

Wo zum Teufel ist nun also diese „Heimat“?

Irgendwann letztes Jahr bin ich bei Nina von smaracuja über dieses Zitat gestolpert:

You will never be completely home again, because part of your heart will always be elsewhere. That is the price you pay for the richness of loving and knowing people in more than one place. – Miriam Adeney

Oh Gott, wie oft habe ich diese Zeilen verflucht. Weil es sich an schlechten Tagen genau so anfühlt. Als wären Teile von mir quer über den Globus verstreut. Dann wäre ich am liebsten überall gleichzeitig und frage mich, ob ich jemals an einem festen Ort ankommen werde, ohne ständig all die anderen Orte zu vermissen. Und ob ich nicht einfach nur Angst habe, etwas zu verpassen. Oder mich zu entscheiden.

Aber jetzt, auf diesem kleinen Boot, irgendwo zwischen Hauskauf-Wünschen und großen Gesprächen über das Leben, machen diese Zeilen auf einmal Sinn. Heimat ist für mich nicht der EINE fixe Ort. Eigentlich ist es gar kein Ort. Heimat sind die Menschen, bei denen ich mich zuhause fühle. Bei denen ich ankomme. Bei denen ich ich selbst sein kann. Meine persönlichen Lieblingsmenschen. Auch wenn ich mir habe sagen lassen, dass dieses Wort kitschig und bedeutungsschwer klingt. Soll es auch! Und in meinem Fall wohnen diese Menschen eben nicht alle um die Ecke. Eher so in einem Radius von etwa 12.000km.

Heimat ist, in einer winzigen Küche im Prenzlauerberg mit Essen vom Vietnamesen nebenan zu sitzen und sich gegenseitig Lieblingssongs vorzuspielen. Spontan die Nacht durchzutanzen und danach im Taxi die Sonne über Berlin aufgehen zu sehen.

Auf dem Küchenfußboden einer Freundin zu sitzen und bekocht zu werden, während ich mit ihrer Tochter einen Zoo aus Duplo baue. Oder mit meiner Designertruppe wie furchtbare Nerds über unseren Job zu reden. Oder Dinge, die irgendwie mit unserem Job zu tun haben. Oder völligen Nonsens.

Von meiner Mutter meine Lieblingsgerichte aus Kindertagen vorgesetzt zu bekommen und dabei gemeinsam auf dem Sofa einen Film zu schauen. Und ein erstauntes „Magst du das nicht mehr?“ zu ernten, sollte ich eins dieser Gerichte ausnahmsweise einmal ablehnen. Mit meinem Vater die besten Helge-Schneider-Witze nachzuahmen und es immer wieder unglaublich lustig zu finden. Bei meinem Großvater auf dem seit meiner Kindheit für mich bestimmten Platz am Esstisch zu sitzen und Apfelschorle zu trinken.

Mit meinen argentinischen Freunden auf Dachterrassen über Gott und die Welt zu diskutieren, auf Spanisch, mit wilden Gesten und ein wenig Theatralik. Oder bis morgens gemeinsam auf der Fensterkante einer Bar zu sitzen, während drinnen ein paar Jungs Tango spielen.

Und ja, vielleicht kann ich das alles nicht auf einmal haben. Und nicht an einem Ort. Aber dafür ist überall dort, wo ich gerade bin, immer auch ein Stückchen Heimat.

 

Was ist Heimat für dich?

2 Kommentare zu “Was ist Heimat für dich, Kris?”

  1. Hallo Kris,
    ein schöner Artikel, der mir aus der Seele spricht. Heimat ist für mich ein schwer definierbarer Begriffe. Ich bin mein ganzes Leben lang immer von A nach B und nach C gezogen. Diesen einen „Heimat“-Ort im klassischen Sinne gibt es für mich nicht. So wie Du schon sagst, denke ich am liebsten an die Orte zurück, wo ich besonders glücklich war und dies hat oftmals mit den beteiligten Menschen zu tun. Hier und heute ist meine Heimat dort wo mein Sohn und mein Mann sind. Das ist mein Fixpunkt. Aber dieser ist nicht zwingend an einen Ort gebunden.

    Liebe Grüße,
    Sabine

  2. Als Fotografin und Autorin bin ich vor einem Jahr losgezogen, um Deutschland zu entdecken und vielleicht auch mein Zuhause zu finden, denn einen festen Wohnsitz gibt es nun nicht mehr. Ich beschäftige mich verständlicherweise sehr intensiv mit dem Begriff „Heimat“ und so gibt es für mich zwei Begriffe, einmal das Zuhause, das im Moment immer dort ist, wo ich gerade bin und den Heimatbegriff der Kindheit.Während eines Stopps in meiner Geburtsstadt Hannover hat sich für mich ganz klar gezeigt, dass meine Heimat dort liegt, woran ich die schönsten Kindheitserinnerungen habe – und das ist Hannover, obwohl ich dort nur die ersten drei Jahre meines Lebens verbracht habe. Aber jede Sommerferien sind wir zur Oma gefahren und das war die schönste Zeit meiner Kindheit. Sehr angestoßen hat mich auch das Buch „Heimat“ von Renate Zöller, das ich nur jedem wärmstens empfehlen kann.